STOPP DEM SCHWINDEL

 

 Körperbalance  Jeder zehnte Patient beim Hausarzt klagt über Probleme mit dem Gleichgewichtssinn . Gezieltes Training kann das Leiden verringern .

 

Kinder lieben das : Sich wie ein Kreisel um die eigene Achse drehen , dann abrupt stehen bleiben  - und völlig benommen und unter lautem Gelächter umkippen . Die Tollerei macht den Kleinen nicht nur Spaß - das Drehen und Schwanken trainiert zudem auch das Gleichgewichtssystem des jungen Körpers . Und in späteren Jahren ? Viele Erwachsene empfinden Schwindelgefühle als unangenehm. Zwar bewundern wir Seiltänzer im Zirkus . Aber unseren eigenen Gleichgewichtssinn einmal auf einen Seil zu prüfen , allein der Gedanke daran verunsichert . Sich bewusst ins Wanken zu bringen - wozu auch ?  " Die Körperbalance sollte auch im Erwachsenenalter noch ertüchtigt werden " , rät der Professor Toni Haid , Facharzt für Hals - Nasen - Ohren  - Heilkunde . Das menschliche Gleichgewichtssystem muss - ähnlich wie der Kreislauf  - trainiert  werden , um fit zu bleiben . Das ist vor allem für die rund fünf Millionen Deutschen empfehlenswert  , die unter Schwindelattacken und Gleichgewichtsstörungen leiden . Gemeint sind damit nicht ein schummriges Gefühl bei schnellem Aufstehen oder ein Absacken des Kreislaufs bei zu langem Stehen , sondern der Eindruck , wenn sich plötzlich die Erde zu drehen oder der Boden wegzukippen scheint . " das geschieht , wenn Sinnesinformationen aus den Augen , den Positionssensoren aus dem Körper und dem Gleichgewichtsorgan nicht zusammenpassen " , erklärt der Professor Michael Strupp , Leiter der Schwindelambulanz am Klinikum Großhadern in München . So zum Beispiel beim Lesen im Auto , wo viele Menschen Übelkeit und Schwindel befällt . Das Gleichgewichtsorgan meldet fortwährend Beschleunigungen und Wendungen . Das Auge hingegen blickt auf ein Buch und registriert Stillstand . Im Gehirn entsteht dadurch ein Datenkonflikt - und die Welt scheint sich zu drehen . Diese Sinnestäuschung erleben auch Kinobesucher , die auf der Leinwand zum Beispiel eine Auto - Verfolgungsjagd erleben , während sie gemütlich im Sessel sitzen . Und letztendlich entsteht  auch Höhenangst aufgrund einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Körperlage durch die am Gleichgewichtssystem beteiligten Organe . Zwar sind diese Schwindelformen völlig normal . Doch mit einigen Übungen kann jeder seine´n Gleichgewichtssinn stärken . Natürlich ist es nicht erforderlich , sich im Kreis zu drehen , wie Kinder das so mögen . Das Ziel ist es vielmehr , bei leichten Verlagerungen des Körperschwerpunkts die Balance zu halten . " Die Übungen helfen dabei , Beschwerden vorzubeugen oder sich nach überstandener Schwindelerkrankung wieder sicherer zu bewegen " , erklärt Toni Haid . Drei - bis fünfmal die Woche sollte das Training durchgeführt werden . " Der Zeitpunkt dafür spielt keine entscheidende Rolle . Wichtig ist es , sich stets wohl dabei zu fühlen " , meint Professor Toni Haid .

 

Typisches Altersproblem

Wer allerdings öfter aus heiterem Himmel von Schwindelattacken heimgesucht wird oder sich ständig dadurch belastet fühlt , sollte die Ursache dafür von einem Arzt klären lassen ( in der Tabelle ganz unten , sind die häufigsten Ursachen und Therapien zusammengefasst ) . Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt . Vielfach wird er bereits aus einer genauen Schilderung der Beschwerden und bisherigen Krankheiten auf eine Schwindelart schließen können . Diesem Gespräch folgen meist einige Grunduntersuchungen der Herz - Kreislauf - Werte , der Bewegungsfähigkeit , das Hör - und Sehvermögens . Gegebenenfalls wird der Hausarzt den Patienten zu einem Hals - Nasen - Ohren - Spezialisten oder Neurologen überweisen . Meist trifft es Ältere . Bei über 65 - Jährigen sind Gleichgewichtsstörungen sogar der häufigste Grund , den Hausarzt aufzusuchen . Bei ihnen lässt die Leistung der Organe nach , die Informationen an das Gleichgewichtssystem liefern : Die Sehkraft ist oft herabgesetzt , etwa durch einen grauen Star . Das führt dazu , dass das Gleichgewichtssystem von den Augen zu wenig Informationen erhält . Zudem treten im Alter häufig Krankheiten auf , die zu Schwindel führen können : Durchblutungsstörungen des Gehirns , Bluthochdruck , Herz - und Kreislaufprobleme , Diabetes . Hinzu kommt , dass viele alte Menschen sich zu wenig bewegen . Dadurch haben sie einen Trainingsmangel - auch in Bezug auf den Gleichgewichtssinn . Das sollte auf jeden Fall nachgeholt werden . " Bewegungsübungen sind der Grundfehler einer jeden Schwindel - Therapie " , erklärt Toni Haid . Nur bei schweren Erkrankungen , wie etwa Herzproblemen oder sehr hohem Blutdruck , muss zuerst der Allgemeinzustand gebessert werden .

 

Trainieren zum Wohfühlen

Die Übungen kann praktisch jeder zu Hause machen . Außer lockerer und angenehmer Kleidung benötigen Sie einen Stuhl sowie einen kleinen Ball . Für Fortgeschrittene empfiehlt sich auch ein Schaukelbrett ( vorher den Arzt oder Physiotherapeuten fragen ) . Sie können im Liegen , Sitzen , Stehen und  - wenn die Beschwerden nachlassen  - beim Laufen trainieren . Wenn möglich , sollte bei den ersten Einheiten ein Partner oder eine Freundin mitmbilisierenachen . Die Übungen 1 und 2 , die unten geschrieben stehen , stabilisieren das Blickfeld . Unser Sehorgan spielt eine wichtige Rolle im Gleichgewichtssystem . Die Augen müssen verschiedene Bewegungsabläufe nachvollziehen . Sie erfassen , wie sich durch unsere Körperbewegungen das Blickfeld verändert . Als Nächstes steht Halswirbelsäule auf dem Programm . Dabei werden Nacken und die Schultern trainiert . das fördert die Beweglichkeit und löst Verspannungen  - wichtig , um die vielen in Haut , Gelenken und Muskeln steckenden Nervensensoren anzuregen , die dem Gehirn pausenlos die momentane Körperposition im Raum melden . Das Aufbautraining geht mit der Verbesserung der Standsicherheit weiter . Wechseln Sie vom Sitzen zum Stehen mit offenen und geschlossenen Augen . Hierbei ist das Gleichgewichtsorgan gefordert . es registriert , wie der Kopf momentan im Verhältnis zu Erde ausgerichtet ist , und misst auf diese Weise einwirkende Beschleunigungskräfte . So ganz nebenbei hält dieses Training außerdem noch die Gelenke beweglich . Die Übung 4 mit Ball trainiert einen festen Blick und stärkt den Tast - sowie den Tiefsinn . Verwenden Sie dabei am besten einen Softball . Zu guter Letzt können Sie sich am Geh - und Schwank - übungen 5 und 6 , wagen . Hier stellt sich heraus , ob Sie die Trainingseinheiten vorher gewissenhaft durchgeführt haben , denn das gesamte Gleichgewichtssystem ist gefordert . Lassen Sie sich zunächst von einem Partner helfen . Falls Ihre Schwindelgefühle bei den Geh - und Schwankübungen zunehmen oder Kreislaufprobleme auftreten , sollten Sie einen Arzt aufsuchen . Neben diesem gezielten Training helfen Ballspiele , das Gleichgewicht ins Lot zu bringen . Dazu zählen etwa Tischtennis  , Tennis oder Federball . Hier läuft unser Gleichgewichtssinn auf Hochtouren .

 

Autofahren verboten

Arbeiten in der Höhe , zum Beispiel auf einer Leiter , sollten Sie hingegen vermeiden . Bei Schwindelgefahr ist auch Autofahren tabu , denn starker Schwindel beeinträchtigt die Fahrtüchtigkeit ebenso wie Trunkenheit . Und : " Liegt eine Störung des Gleichgewichtsorgans vor , sollten die Patienten nicht schwimmen und vor allem nicht tauchen , das könne lebensgefährlich sein " , warnt Professor Toni Haid .

 

Gleichgewichtstraining  - Übungen für jeden Tag

Das Rückenpendel :

Sitzen Sie gerade , Hände auf den Hüften . Bewegen Sie den Oberkörper nach links , rechts , vorne und hinten .

Der Beinschwinger :

Stützen Sie sich seitlich mit der hand an einer Wand ab , und schwingen Sie locker mit einem Bein vor und zurück .

Der Flieger :

Stehen Sie zehn Sekunden aufrecht , Augen geschlossen , Arme ausgebreitet . Neigen Sie dann den Kopf nach hinten .

Diese Übungen helfen Ihnen dabei , Schwindelbeschwerden vorzubeugen oder sich nach einer überstandenen Schwindelerkrankung wieder sicher zu bewegen . Wichtig ist , dass Sie sich beim Üben wohl fühlen . Trainieren Sie regelmäßig , am besten drei - bis fünfmal die Woche .

Zurück zur Körperbalance - Trainingsprogramm

1. Augen im Lot :

Stabilisieren Sie ihr Blickfeld und Ihren Gleichgewichtssinn , indem Sie im Liegen abwechselnd nach oben , unten , links und rechts schauen . Halten Sie dabei ihren Kopf möglichst still .

2. Daumen im Blick :

Strecken Sie den Daumen nach oben , die Hand zur Faust geballt . Bewegen Sie den Arm in verschiedene Richtungen und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit . Der Blick sollte dabei stets auf den Daumen gerichtet sein , ohne den Kopf zu bewegen .

3. Köpfchen , Köpfchen :

Lockern Sie Nacken und Schultern ! Halten Sie - auf einem Stuhl sitzend  - den Kopf zuerst gerade . Anschließend neigen Sie ihn nach links , rechts , oben und unten .

4. Tastsinn fest im Griff :

Sie sitzen aufrecht , werfen einen weichen Trainingsball ( Softball ) in die Höhe und fangen ihn wieder auf . Werfen Sie erst mit beiden Händen  , dann von einer Hand zur anderen . Erweitern Sie die Übung , indem Sie den Ball gegen die Wand werfen .

5. Immer in Balance :

Stellen Sie sich mit ausgestreckten Armen auf ein Schaukelbrett , und versuchen Sie ruhig zu stehen . Schaukeln Sie dann vorsichtig nach links und rechts . Der Oberkörper bleibt gerade .

 

6. Bodenhaftung erhöhen :

Gehen Sie auf der Stelle , erst mit geöffneten , später mit geschlossenen Augen . Versuchen Sie dann mit offenen Augen auf einer gedachten Linie am Boden exakt geradeaus zu laufen .

 

SCHWINDEL : FORMEN , URSACHEN UND THERAPIEN

*Gutartiger Lagerungsschwindel

Kurze , heftige Drehschwindelattacken

( in der regel etwa 10 bis 30 Sekunden ) ,

ausgelöst durch Veränderungen der Lage .

Ursache : Kalkkristalle in den

Gleichgewichtssäcken haben

spontan , durch Virusinfektion

ihre Position verändert

Therapie :  Lagerungstraining ,

so genanntes Befreiungsmanöver.

*Menie're'sche Krankheit

Heftige Drehschwindelanfälle

mit Ohrgeräuschen , Hörminderung ,

Druckgefühl und Übelkeit .

Ursache : Gestörte Produktion

der Endolymphflüssigkeit im

Innenohr .

 

Therapie : Medikamente gegen

Schwindel ( Betahistin ) , in

extremen Fällen Operation .

*Niedriger Blutdruck

Benommenheits -

und Drehschwindel ,

auch Ohnmachtsschwindel

 

Ursache : Rasches

Aufstehen aus dem

Liegen , langes Stehen

Therapie : Bewegung

und Gefäßtraining

( zum Beispiel

Wechselduschen )

*Psychogener Schwindel

Benommenheits - und Unsicher -

heitsgefühle , die oft ganztägig

anhalten und sich in bestimmten

Situationen verstärken .

Ursache : Vermehrte Sebst -

beobachtung , Stresssituationen ,

schwere Belastungen ,

traumatische Ereignisse , Angsterkrankung , Depression .

Therapie : Verhaltenstherapie

und Bewegung , Medikamente

(SSRLs)

*Schädigung Hirnstamm /

Kleinhirn

Drehschwindel , Benommen -

heits - , Betrunkenheits -

oder Unsicherheitsgefühl ,

häufig mit

Koordinationsstörungen ,

Doppelbildern und

Sehstörungen

Ursache : Durchblutungs -

störung im Gehirn .

Therapie : Medikamente

gegen Schwindel ( Flunarizin ,

Cinnarizin ) und

Thromboseneingung

( Acetylsalicylsäure ,

Clopidrogel )

*Erkrankung der

Gehirngefäße

Drehschwindel ,

Benommenheits -

gefühl ( " Leere " im

Kopf )

Ursache : Kann die Folge

von Bluthochdruck ,

erhöhtem

Cholesterinspiegel

oder Diabetes sein .

Therapie : Behandlung

der Grunderkrankung ,

durchblutungsfördernde

Medikamente ( Ginkgo -

und Knoblauch -

Präparate )

*Ausfall des Gleichgewichts -

organs

Heftiger , akuter Dauerdrehschwindel

mit Fallneigung und

Gangunsicherheit .

Ursache : Entzündung des

Innenohrs durch Virusinfektion

Therapie : Je nach Ursache

Infusionen mit Antibiotika und

durchblutungsfördernden

Mitteln , eventuell Medikamente

gegen Schwindel ( Ginkgo ,

bestimmte Antihistaminika )

* Schwindelmigräne

Dreh - Schwankschwindel -

Attacken

Ursache : Erweiterung

und Verengung in den

Arterien der Hirnhaut

Therapie :

Migränebehandlung

mit Schmerzmittel

( Acetylsalcylsäure ,

Ibuprofen , Naproxen )

oder auch vorsorglich

mit Betablockern .

 

*Herzerkrankung

Gleichgewichtsstörungen

beim Gehen oder

Stehen , Benommen -

heitsgefühl .

Ursache : Herzrhytmus -

störungen oder

Herzschwäche , die zu

einer Unterversorgung

des Gehirns mit

Sauerstoff führen .

Therapie : Je nach

Erkrankung ,

medikamentös ,

elektrisch

( Herzschrittmacher )

oder operativ ( Bypass ) .

 

 

 

 

 

      DAS KARUSSELL IM KOPF

                  MUSS NICHT SEIN

 

Immer im Kreis:Defekte im Gleichgewichtsorgan führen schnell zu Drehschwindelattacken-Etwa jeder zehnte Patient beim Hausarzt klagt über Probleme mit dem Gleichgewichtssinn. Was dahinter steckt und wie die besten Hilfen aussehen!

 

 

? Viele halten Schwindel für eine Bagatelle.Zu Recht?

Auf keinen Fall,Schwindel ist ein Symptom,das auf viele Krankheiten hinweisen  kann: Herz-Kreislauf-Probleme,Schilddrüsenerkrankungen,Defekte des Gleichgewichtsorgans im Innenohr - um nur einige Beispiele zu nennen.Hinzu kommt,daß die Betroffenen meist unter einem starken Leidensdruck stehen:Sie fühlen sich unsicher und haben ständig Angst vor der nächsten Schwindelattacke.

                                           

? Bedeutet das,Schwindel ist ein Fall für den Arzt?

Richtig.Wer Schwindelgefühle ohne erkennbaren Auslöser hat,sollte unbedingt zum Arzt gehen - am besten zunächst zum Hausarzt.Um die Diagnose abzuklären,ist es oft notwendig,daß der Patient dann noch weitere Spezialisten aufsucht,etwa HNO- oder Nervenärzte.Leider gibt es in Deutschland bislang nur wenige Mediziner,die sich auf Schwindel spezialisiert haben - andere Länder,etwa die USA,sind da schon weiter.Das ist bedauerlich,denn Schwindel tritt als Symptom fast genauso häufig auf wie Schmerz.

                                          

? Ist Schwindel eigentlich gleich Schwindel?

Nein,Schwindel zeigt sich ganz unterschiedlich,und das spielt auch für die Diagnose eine große Rolle.Hat der Patient das Gefühl,daß sich alles in seinem Kopf dreht,steckt oft eine Störung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr dahinter.Fühlt er sich dagegen benommen oder einfach schummerig,kann das an Kreislaufproblemen liegen.Glaubt der Betroffene zu schwanken,ohne daß Aussenstehende das bestätigen können,hat das häufig psychische Gründe.

                                         

? Kann Schwindel auch seelische Ursachen haben?

Sogar recht häufig:Bei etwa jedem fünften Betroffenen dürfte das der Fall sein.Hintergrund sind meist Depressionen,Ängste oder ein Burn-out-Syndrom,bei dem sich der Patient psychisch extrem ausgelaugt fühlt.In solchen Fällen kann auch eine Psychotherapie helfen,die Schwindelgefühle abzubauen.Der Arzt wird aber immer klären,ob es organische Ursachen für den Schwindel gibt.

                                         

? Welche Defekte im Gleichgewichtsorgan beobachtet man am häufigsten?

Recht häufig ist der genannte gutartige paroxysmale Lagerungsschwindel:Winzige Steinchen,die im Innenohr unserem Gleichgewichtssinn austarieren,können sich abrupt lösen,zum Beispiel duch einen Unfall,aber auch durch altersbedingte Abnutzung des Gewebes.Das führt zu einer Falschmeldung des Gleichgewichtsorgans.Als Folge leidet der Patient unter heftigem Drehschwindel,ganz typisch etwa beim raschen Aufstehen aus dem Bett.Die Bahandlung ist verblüffend einfach:Der Patient muß in Absprache mit dem Arzt bestimmte Lagerungsübungen durchführen,die den Irrläufer im Innenohr unschädlich machen.Eine andere häufige Ursache für Schwindel ist die Menie're'sche Krankheit.

                                         

? Was ist die Menie're'sche Krankheit?

Typisch ist die Kombination aus Drehschwindelattacken,Hörverlust und Ohrengeräuschen - alles meist nur auf einer Seite.Die Symptome treten aus heiterem Himmel auf,nach ein paar Stunden ist der Spuk wieder vorbei - bis zum nächsten Mal.Allein die Angst vor der nächsten Attacke belastet die Betroffenen.Nach meiner Beobachtung leiden Menie're-Patienten fast immer auch unter Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes.

                                      

? Wie hilft man den Menie're-Patienten?

Die Behandlung ist nicht so einfach wie beim Lagerungsschwindel.Vielen Erkrankten hilft eine medikamentöse Behandlung,die das Gleichgewichtsorgan dämpft.In etwa zehn Prozent der Fälle reicht das aber nicht aus.Dann kommen Operationen in Frage.Eine bewährte Methode besteht darin,den betroffenen Gleichgewichtsnerv auszuschalten.

                                      

? Verliert der Patient ohne Gleichgewichtsnerv nicht erst recht die Balance?

Nein,denn der Nerv wird nur auf der erkrankten Seite durchtrennt.Unser Gehirn ist so fantastisch lernfähig,daß es sich schnell an die neue Situation gewöhnt und mit nur einem Gleichgewichtsorgan auskommt.95 Prozent der Menie're-Patienten haben nach der Operation - auch genannt Neurektomie - keine Probleme mehr mit Schwindelgefühlen.

                                       

? Der Gleichgewichtssinn lässt sich also trainieren?

Generell schon - und davon kann wirklich jeder profitieren.Ein prima Training fürs Gleichgewicht sind bewegungssportarten,die viel Koordination erfordern.Dazu gehören etwa Tischtennis oder Badminton.Hier wird alles gefordert,was für unseren Gleichgewichtssinn eine Role spielt:Blickkontrolle,Druck-und Tastsensoren an der Haut und in der Muskelatur und natürlich das eigentliche Gleichgewichtsorgan im Innenohr.Wer unter Schwindel leidet,sollte aber in Absprache mit seinem Arzt erst mit einfacheren Übungen beginnen,zum Beispiel Slalom gehen.das Schwindeltraining-  wir sprechen von vestibulärer Rehabilitation - spielt eine ganz entscheidene Rolle für die Behandlung von Gleichgewichtsstörungen.

                                     

? Helfen Medikamente gegen Schwindel?

Vorübergehend schon.Antivertiginosa - so der Fachausdruck für Schwindelmedikamente - solten aber nur nach Absprache mit dem Arzt eingenommen werden.Sie dämpfen das Gleichgewichtsorgan und lindern so den Schwindel,beseitigen aber nicht dessen Ursache.Deshalb sind solche Medikamente auf lange Sicht keine Lösung.

                                     

? Worauf sollten Schwindel-Patienten besser verzichten?

Liegt ein Defekt im Gleichgewichtsorgan vor,sollten die Patienten lieber nicht schwimmen und vor allem nicht tauchen - es könnte für sie lebensgefährlich werden.Das Gleiche gilt für alle Arbeiten in der Höhe,etwa auf einer Leiter.Und auch wenn es noch so schwer fällt: Bei Schwindelgefahr sollte das Autofahren tabu sein.Denn starker schwindel beeinflusst unsere Fahrtüchtigkeit genauso wie Trunkenheit.

                               

? Ältere Menschen scheinen besonders häufig unter Schwindel zu leiden .Woran liegt das?

Da spielen zum einen genetische Faktoren eine Rolle,die sich manchmal erst im Alter bemerkbar machen.So geht bei vielen älteren Menschen die Zahl der Nervenzellen im Gleichgewichtsorgan zurück - Lagerveränderungen können also nicht mehr so präzise registriert und austariert werden.Außerdem ist im Alter die Sehkraft oft heabgesetzt,etwa durch grauen Star.Das Führt dazu,daß unser Gleichgewichtssinn zu wenig Informationen über die Augen bekommt.Auf der anderen Seite treten im Alter häufiger Krankheiten auf,die zu Schwindel führen können: Durchblutungsstörungen im Gehirn,Bluthochdruck,Herz- und Kreislaufprobleme oder Diabetes.Hinzu kommt ein weiterer Punkt:Viele alte Menschen bewegen sich zu wenig.Dadurch haben sie einfach ein Trainingsdefizit - auch in Bezug auf ihren Gleichgewichtssinn.Gehilfen,zum Beispiel Rollatoren oder Stöcke,sind übrigens unter diesem Gesichtspunkt eine zweischneidige Sache: Sie geben einerseits zwar Sicherheit und können gefährliche Stürze verhindern.Aber der Gleichgewichtssinn bekommt durch diese Stützen häufig auch zu wenig Trainingsreize.

 

                                                                                    

 

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Angstschwindel - Phobischer Attackenschwindel

    Viele Angst- und Panikpatienten leiden unter heftigen Schwindelzuständen. Sie fürchten ständig, im Stehen (manchmal auch im Sitzen) umzufallen, einen Kreislaufkollaps zu bekommen, ohnmächtig zu werden oder gar einen Herzinfarkt zu erleiden und infolgedessen zu sterben. Sie erleben sich bei Schwindelattacken oft hilflos verlassen von den Angehörigen oder sonstigen möglichen Rettern. Wegen massiver Schwindelzustände mit Ängsten umzufallen entwickeln viele Menschen nach einer Panikattacke oft eine lebenseinengende Agoraphobie (Platzangst).

    Der Angstschwindel ist ein eher diffuser Schwindel, häufig erlebt als Benommenheit, Unsicherheit auf den Beinen, mangelnde Standfestigkeit, Schweben wie auf Wolken, Gehen wie auf Watte, Glatteis oder Schaumgummi, wie wenn man den Kontakt zum Boden verloren hätte, oft verbunden mit Unruhe, manchmal auch mit Übelkeit. Haltungsveränderungen beeinflussen diese Schwindelform kaum. Bei normalem Gang fühlt man sich wie betrunken schwankend. 

Menschen mit Panikattacken beschreiben verschiedenartige Schwindelzustände: Benommenheit, Leere im Kopf, schwankende Bewegung des Bodens, der Umwelt oder des eigenen Körpers, Unsicherheit beim Gehen oder Stehen, Gefühl des drohenden Sturzes oder einer bevorstehenden Ohnmacht.

Eine Begleitperson, Sitzen oder Liegen bewirkt oft eine Besserung der Schwindelsymptomatik, Kopfbewegungen können dagegen die Schwindelzustände verstärken.

Viele Agoraphobiker klagen über Schwindel, Ohnmachtsangst und Übelkeit, wurden im Laufe des Lebens jedoch kaum ohnmächtig (dies war nur bei 1% der Agoraphobiker der Fall).

Bei Menschen mit Angststörungen, die über Schwindelzustände klagen, obwohl keine neurologischen oder vestibulären Ursachen festgestellt werden können, lassen sich zwei relativ gut abgrenzbare Syndrome unterscheiden:

  • Phobischer Attacken-Schwankschwindel mit und ohne Paniksymptome.

  • Psychogene Stand- und Gangstörung. Schreckreaktionen und Erschöpfungszustände führen zu „weichen Knien“ als Folge der Dominanz des parasympathischen Nervensystems. Ohne subjektiven Schwindel im Kopf fühlen sich die Betroffenen “schwindlig auf den Füßen“. Sie beschreiben ein Schwanken beim Stehen und Gehen und bewegen sich langsam und zögerlich (wie auf Eis). Ständige Angst und Stresssituationen führen andererseits zu chronischer (sympathisch bedingter) Muskelverspannung mit Gleichgewichtsstörungen (die Regulation des Gleichgewichts erfolgt im Hirnstamm). Die Betroffenen haben gewöhnlich eine massive Schulter-Nacken-Verspannung bzw. ein Zervikalsyndrom.

 Bei vielen Menschen mit Agoraphobie steht der phobische Attacken-Schwankschwindel mit situativ verstärkter Stand- und Gangunsicherheit ohne subjektiv erlebte Angstsymptomatik im Mittelpunkt des Erlebens. Agoraphobie und phobischer Attacken-Schwankschwindel weisen folgende Zusammenhänge auf:

„Welche zentrale Rolle die Angst beim psychogenen Schwindel einnimmt, zeigt sich nicht zuletzt an der häufigsten umschriebenen klinischen Erscheinungsform des psychogenen Schwindels, dem phobischen Attackenschwindel. Diesen erleiden Patienten in bestimmten sozialen Situationen (Kaufhäuser, Restaurants, Konzerte, Besprechungen, Empfänge) oder angesichts typischer auslösender Sinnesreize (Brücken, leere Räume, Treppen, Straßen, Autofahren). Der Schwindel entspricht von seiner Erlebnisqualität her dem Höhenschwindel und ist durch die Kombination eines Benommenheitsgefühls mit subjektiver Stand- und Gangunsicherheit sowie einer Crescendo-Vernichtungsangst charakterisiert. Im Unterschied zur Agoraphobie oder unspezifischen Panikattacken klagen die Patienten mit phobischem Attackenschwindel nicht in erster Linie über die ‘Angst’, sondern über den ‘Schwindel’, der allenfalls die schreckliche Angst ausgelöst habe. Sie fühlen sich organisch krank. Zum Schwindel führende Sinnesreize und Situationen können rasch konditioniert werden und sich generalisieren. Es bildet sich ein entsprechendes Vermeidungsverhalten aus.“

    In der Münchner Spezialambulanz für Schwindel war unter 768 Patienten nach dem benignen (gutartigen) paroxysmalen (anfallsartigen) Lagerungsschwindel (20,6%) der phobische Schwankschwindel (16,8%) als zweithäufigste Schwindelart anzutreffen.

Ein phobischer Schwankschwindel ist laut Fachleuten durch sechs Kriterien charakterisierbar:

  • „Der Patient klagt über Schwankschwindel und subjektive Stand-/Gangunsicherheit bei normalem neurologischem Befund und unauffälligen Gleichgewichtstests.

  • Der Schwindel wird beschrieben als eine fluktuierende Unsicherheit von Stand und Gang mit attackenartiger Fallangst ohne Sturz, z.T. nur als einzelne unwillkürliche Körperschwankung.

  • Während oder kurz nach diesen Attacken werden (häufig erst auf Befragen) Angst und vegetative Missempfindungen angegeben, wobei die meisten Patienten auch Schwindelattacken ohne Angst berichten.

  • Die Attacken treten oft in typischen Situationen auf, die auch als externe Auslöser anderer phobischer Syndrome bekannt sind (Brücken, Autofahren, leere Räume, große Menschenansammlungen im Kaufhaus oder Restaurant). Im Verlauf entsteht eine Generalisierung mit zunehmendem Vermeidungsverhalten auslösender Reize.

  • Patienten mit phobischem Schwankschwindel zeichnen sich meist durch zwanghafte Persönlichkeitszüge und eine reaktiv depressive Symptomatik aus.

  • Der Beginn der Erkrankung lässt sich häufig auf eine initiale vestibuläre Erkrankung (z.B. Neuritis vestibularis) oder besondere Belastungssituationen zurückverfolgen.“

    Die illusionäre Wahrnehmungsstörung des Schwankschwindels und der Standunsicherheit der Betroffenen wird dadurch zu erklären versucht, dass viele Schwindelpatienten mit ängstlicher Selbstbeobachtung in übersensibler Weise sensomotorische Regelvorgänge registrieren, die normalerweise unbewusst ablaufen, so dass die beim freien aufrechten Stand entstehenden feinen Körperschwankungen oder unwillkürlichen Kopfbewegungen als beängstigende Beschleunigungen wahrgenommen werden.

Bei Menschen mit Schwindel zeigen sich auffällig oft Angst, Verunsicherung oder Depression. Aktuelle Konflikte oder psychosoziale Stressfaktoren (partnerschaftliche oder berufliche Konflikte, Trennungen, Verluste, existentielle Erschütterungen, Hausbau, finanzielle Probleme) bzw. krisenhafte Zuspitzungen bereits seit langem bestehender Probleme lösen dann in bestimmten Situationen recht unangenehme Schwindelattacken aus, die sich die Patienten anfangs überhaupt nicht erklären können, so dass sie wegen des gefürchteten Schwindels eine Vermeidungshaltung im Sinne einer Agoraphobie entwickeln, d.h. ihren Aktionsradius einengen. Das Hauptproblem sind jedoch nicht die vielen situativen Bedrohungsmöglichkeiten, sondern die aktuellen Lebensumstände, die den Betroffenen oft buchstäblich „den Boden unter den Füßen“ weggezogen haben. Angesichts einer bestimmten Lebenssituation kann einem richtig „schwindlig“ werden.

In der Stand- und Gangunsicherheit drücken sich symbolisch oft zentrale Lebensfragen aus: 

  • Wie sehr kann man bzw. möchte man auf eigenen Füßen stehen? 

  • Was passiert, wenn man im Leben loslässt und fällt? 

  • Wer oder was fängt einen auf?

Verhaltenstherapeuten, die diesen Hintergrund im Rahmen einer geplanten Konfrontationstherapie bei einer Agoraphobie, die primär durch Schwindelzustände und Fallängste bedingt ist, nicht berücksichtigen, gehen oft am Kern des Problems vorbei.

    Eine symptombezogene Behandlung zu Therapiebeginn ist dann sinnvoll,

  • wenn eine derartige Therapie dem Wunsch der Betroffenen entspricht (Psychotherapeuten sollen ihren Patienten durchaus in deren Modell begegnen),

  • wenn durch eine Konfrontationstherapie rasch wieder ein ausreichendes Selbstvertrauen aufgebaut werden kann, das die Bewältigung der zugrunde liegenden „tieferen“ Probleme ermöglicht (bei psychosozialen Konfliktsituationen wird auf diese Weise die Einengung der individuellen Bewegungsfreiheit rasch beseitigt).

    Bei Depressionen äußert sich Schwindel häufig als Leere oder Nebel im Kopf, als eine Art Schleier über Wahrnehmung und Denken, als Benommenheit oder Unsicherheit beim Gehen. Bei einer somatisierten Depression kann Schwindel ein ständig beklagtes Hauptsymptom sein. Schwindel tritt auch im Rahmen einer Neurasthenie auf, d.h. bei einer „nervösen Erschöpfung“.

Schwindel kann durch eine Hyperventilation im Rahmen einer angst- oder wutbedingten Erregung ausgelöst werden. Es kommt zu einer Verschiebung des Sauerstoff-Kohlendioxidverhältnisses im Blut, in weiterer Folge zu Gefäßverengungen und mangelhafter Blut- und Sauerstoffversorgung im Gehirn, was als Schwindel erlebt wird.

Bei älteren Menschen mit Erfahrungen von Stürzen oder längerer Bettruhe äußert sich Schwindel - abgesehen vom typischen Altersschwindel, der Ausdruck einer Mehrfachschädigung ist - häufig als Gangunsicherheit, bewirkt durch die erhöhte Selbstbeobachtung und die ängstliche Erwartung zu fallen, oft auch als Folge einer schlechten körperlichen Konstitution oder einer langzeitigen Tranquilizereinnahme.

 

Therapie bei psychogenen Schwindelzuständen: Provokation von Schwindel und Fallangst

Lernen Sie, besser mit Schwindel und Fallangst umzugehen! Die bei Menschen mit Agoraphobie bzw. Panikattacken so häufige Angst vor Schwindel ist oft bedingt durch unzureichende Sauerstoffzufuhr zum Gehirn infolge von niedrigem Blutdruck, Blutdruckabfall, Hyperventilation, Schulter- und Nackenverspannungen, nur selten durch ein übersensibles Gleichgewichtsorgan im Ohr oder durch Verschwommensehen.

Der medizinisch meist nicht klärbare und behandelbare Schwindel hängt häufig mit falscher Körperhaltung im Stehen bzw. mit mangelndem Kontakt der Füße zum Boden zusammen, was von der Bioenergetik sehr betont wird. Deswegen sind Bewegungsübungen und keine Liege- und Entspannungsübungen angezeigt.

Bei Angstpatienten ist die Schwindelsymptomatik gewöhnlich durch eine Störung im sensiblen System begründet (Störung in der Körperwahrnehmung). Empfehlenswert sich Übungen bei geschlossenen Augen, die diese Störung provozieren und bewältigen helfen.

Der bekannte Schwankschwindel drückt oft eine durch Angst und Verspannung bedingte Unsicherheit im Stehen aus:

  • Die Fußsohlen liegen nicht voll und entspannt auf dem Boden auf.

  • Die Beine sind angespannt, ohne federndes Sich-Durchbeugen und Ausbalancieren.

  • Das Rückgrat ist steif und unelastisch (wie wenn ein „Stock im Kreuz“ wäre).

  • Aus Angst vor dem Fallen wird der Schwerpunkt gehoben statt gesenkt.

Viele Panikpatienten haben Angst umzufallen, insbesondere bei Schwindel durch niedrigen Blutdruck, verhalten sich daher ruhig und beobachten ständig ihre körperlichen Symptome. Infolge der Bewegungslosigkeit muss bei einem Blutdruckabfall intensives Herzrasen einsetzen, um den Blutdruck wieder zu heben, was das Wesen vieler Panikattacken ausmacht. Jede Form von Bewegung würde den Blutdruck schneller und einfacher heben als das Herzrasen im Ruhezustand. Aus Angst vor dem Fallen spannen die Betroffenen weiters die Beine an, drücken ihre Knie fest zusammen und stehen mit steif durchgestreckten Beinen da, was die Unsicherheit im Stehen verstärkt und den Blutrückfluss zum Herzen reduziert.

Die Beine elastisch etwas durchzubeugen und den Körperschwerpunkt zu senken (wie beim Schifahren), gibt Sicherheit vor dem Fall. Beobachten Sie Kinder und Erwachsene, die gerade das Schifahren lernen! Wie elegant fahren doch Kinder den Hang hinunter, mit tiefer Hocke bzw. Rückenlage, ohne in den Schnee zu fallen. Kinder haben meist keine Angst vor dem Fall und verspannen sich daher auch nicht. Wie steif stehen dagegen viele Erwachsene auf den Brettern. Aus Angst vor dem Fall strecken sie ihre Beine zu stark durch und heben den Körper zu hoch. Je höher der Körperschwerpunkt, desto leichter fällt man bei einer kleinen Unebenheit hin.

Menschen mit Fallängsten sind wie unsichere Schifahrer. Aus Angst vor dem Fallen strecken sie die Beine durch und heben den Körperschwerpunkt. Sie sind dadurch unelastisch und fühlen sich unsicher auf den Beinen.

Wenn Sie zu wenig Bodenkontakt und Erdverbundenheit spüren, verlieren Sie den „Boden unter den Füßen“ und das Gefühl für Ihren Körperschwerpunkt. Sie geraten dann aus dem Gleichgewicht und bekommen Angst vor dem Fallen.

Beim Schifahren kommt es gerade dann zu Knochenbrüchen, wenn man die Beinmuskeln anspannt und sich gegen den Fall wehrt (trifft auf über 90% der Brüche zu). Die Knie durchzubeugen, mit dem Fall mitzugehen und sich dann wieder aufzurichten, verhindert dagegen einen Sturz.

Die psychotherapeutische Technik des „Erdens“ (besserer Kontakt mit dem Boden unter den Füßen) ist eine nützliche Hilfe. Das Verständnis für den bedeutsamen Vorgang des Kontaktnehmens zum Boden lässt sich auch über die „Fußreflexzonen“ noch vertiefen. Im Fuß haben alle Organe ihre zugeordneten Stellen, die sogenannten Reflexzonen. Durch Druck auf Zehen-, Ballen-, mittleren oder Fersenbereich des Fußes belebt sich analog der Zuordnung der „Reflexzonen“ des Fußes die Atmung im oberen, mittleren oder unteren Körperbereich. Durch Lockern, Massieren und Bewegen der Füße kann dieser Kontakt zum Boden verstärkt werden.

Bei akuten Schwindelbeschwerden schützt Hinlegen vor unkontrollierten Reaktionen. Langfristig hemmt die mit der ständigen Bettruhe verbundene Inaktivität die Koordinationszentren des Gleichgewichtssystems und beeinträchtigt so die körperlichen Erholungsmöglichkeiten. Wissenschafter der NASA konnten zeigen, dass bei Gesunden schon allein durch eine siebentägige Bettruhe das Koordinationssystem des Gleichgewichts empfindlich gestört werden kann.

 Ein Trainingsprogramm gegen Schwindel ist sehr hilfreich:

  • Bestimmte sportliche Aktivitäten wie Waldlauf oder Tischtennisspielen haben eine positive Wirkung auf das Gleichgewichtssystem.

  • Fixationsübungen benutzen die von Tänzern bekannte Erfahrung, dass man beim Drehen des Körpers durch Fixieren eines festen Punktes während einer Halbkreisdrehung den Schwindel weitgehend unterdrücken kann.

  • Augenfolgeübungen (mit den Augen einen sich langsam bewegenden Gegenstand verfolgen) fördern einen besseren Umgang mit Bewegungsreizen.

  • Rasche Dreh- und Bewegungsübungen sind gut geeignet zur Behandlung des Lagerungsschwindels. Bestimmte Ringelspiele auf dem Rummelplatz stellen eine ideale Schwindelprovokation dar.

  • Balancierungsübungen fördern einen besseren Gleichgewichtssinn.

  • Das Fixieren von Mustern, die sich bei längerem Hinschauen zu bewegen beginnen, provoziert einen Schwindelreiz und führt im Laufe der Zeit zur Gewöhnung.

 Übungen zum Balancieren, Fallen und Pendeln

  • fördern den ausgewogenen Einsatz der Schwer- und Muskelkraft,

  • verhindern Verspannungen und Verkrampfungen,

  • verbessern das Gefühl für den Körperschwerpunkt, der mit dem Organ-, Muskel- sowie Atemzentrum im Unterleib zusammenfällt,

  • bewirken eine Spannungsbalance beim Stehen, Atmen, Singen und Sprechen,

  • fördern die Fähigkeit, sich fallen lassen zu können, und stärken dadurch das Selbstvertrauen und (bei Partnerübungen) das Vertrauen anderen gegenüber.

Klinische Untersuchungsverfahren, wie sie von Neurologen regelmäßig vorgenommen werden, können im Selbstversuch erprobt werden:

  1. Romberg-Stehversuch. Stellen Sie sich aufrecht so hin, dass sich die Füße innen berühren, und halten Sie beide Hände waagrecht ausgestreckt, während die Augen geschlossen sind. Bei Gleichgewichtsstörungen kommt es dabei zu auffälligen Körperschwankungen, manchmal auch mit Fallneigung in eine bestimmte Richtung.

  2. Unterberger-Tretversuch. Treten Sie mit geschlossenen Augen und waagrecht erhobenen Armen kräftig auf der Stelle.

  3. Blindgang. Gehen bzw. laufen Sie mit geschlossenen Augen und waagrecht ausgestreckten Armen auf einer gedachten Linie.

Einige der folgenden Gleichgewichtsübungen stellen Variationen der Übungen aus dem Buch „Atme richtig“ von Hiltrud Lodes dar und können nach Belieben abgewandelt werden, um Schwindelzustände auszulösen und das Vertrauen in die Körperfunktionen Gleichgewicht, Stehen und Gehen wiederzuerlangen (bei vielen Angst- und Panikpatienten löst allein bereits Schwindel eine Panikattacke oder Ohnmachtsangst aus):

  1. Balancieren. Balancieren Sie auf Baumstämmen, Balken usw. Spannen Sie dabei plötzlich Ihren rechten Arm an und machen Sie mit der Hand eine Faust, um das Gleichgewicht halten zu müssen.

  2. Kontaktnehmen zum Boden. Stehen Sie mit den Füßen fest am Boden, strecken Sie die Zehen aus und achten Sie auf einen guten Kontakt zum Boden. Spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen und die Teile Ihrer Fußsohlen, die den Boden berühren. Gehen Sie dann mit gutem Kontakt Ihrer Füße zum Boden durch den Raum.

  3. Atmung als Bewegung. Atmen Sie im Stehen bei geschlossenen Augen tief ein, achten Sie dabei auf eine gute Zwerchfellatmung und beobachten Sie, wie Ihre Atmung Ihren Körper in leichtem Ausmaß schwanken lässt.

  4. Pendeln und Kreisen über den Füßen. Stellen Sie Ihre Füße knapp nebeneinander und kreisen Sie mit Ihrem Oberkörper. Stellen Sie sich vor, auf Ihrem Kopf einen Teller zu jonglieren. Bemerken Sie einen Unterschied bei geschlossenen Augen?

  5. Verlagern des Körperschwerpunkts nach vor und zurück. Verlagern Sie den Körperschwerpunkt möglichst weit vor auf die Zehen und anschließend möglichst weit zurück auf die Fersen. Spüren Sie dabei die Atemanregung.

  6. Über den Füßen vor- und zurückschaukeln. Schaukeln Sie in leichtem Grätschstand auf Ihren Füßen vor und zurück, indem Sie beim Einatmen Ihre Fersen anheben und dabei das Körpergewicht auf die Vorderfüße verlagern, beim Ausatmen die Fersen wieder sinken lassen und dabei das Körpergewicht bei gutem Bodenkontakt auf die Fersen verlagern. Die Kniegelenke bleiben dabei immer in lockerer Bereitschaftsstellung.

  7. Verlagern des Körperschwerpunkts nach rechts und links im Wechsel. Verlagern Sie Ihr Körpergewicht abwechselnd auf die rechte und die linke Fußsohle. Vom belasteten Fuß aus soll der Körper durchgehend bis zum Kopf gestreckt sein. Heben Sie dabei den nicht belasteten Fuß ein wenig vom Boden ab. Zur Unterstützung der Bewegung heben Sie die Arme etwas an und balancieren Sie Ihren Körper, während das ganze Gewicht auf einem Fuß ruht.

  8. Wippen aus dem Stand. Stehen Sie mit den Händen in den Hüften aufrecht da und heben Sie schwunghaft beide Fersen, und zwar so hoch wie möglich. Nach 3 Sekunden stellen Sie Ihre Füße wieder flach auf den Boden. Wiederholen Sie diese Übung 20-mal. Diese Übung bewirkt auch eine Kräftigung der Waden.

  9. In die Hocke gehen. Stehen Sie mit den Händen in den Hüften aufrecht da und gehen Sie langsam in die Knie. Wenn die Oberschenkel parallel zum Boden sind, halten Sie diese Position 3 Sekunden lang. Kehren Sie dann langsam in die Ausgangsposition zurück und wiederholen Sie die Übung 10-mal. Diese Übung kräftigt den Quadrizeps, den Muskel an der Vorderseite des Oberschenkels.

  10. Anspannung des Körpers. Spannen Sie Ihren ganzen Körper eine Minute lang an, in dem Sie im Stehen Ihre Arm-, Bein-, Bauch-, Rücken-, Schulter- und Gesichtsmuskeln anspannen und beobachten Sie, welche Gefühle dies in Ihnen auslöst.

  11. Gehen mit einem Krug oder Buch auf dem Kopf. Gehen Sie mit einem Krug, Buch oder ähnlichem Gegenstand auf dem Kopf durch den Raum. Halten Sie dabei nicht den Atem an vor lauter Konzentration! In Sammlung auf die zu lösende Aufgabe belebt sich die Atmung. Der Atemraum weitet sich durch das Aufrichten der Wirbelsäule. Lassen Sie beim Gehen die Beine locker aus der Hüfte schwingen, wobei die Leiste gestreckt ist. Die Füße spüren den Boden und rollen bei jedem Schritt auf den Fußsohlen ab. Um den Gegenstand gut auszubalancieren, richten Sie sich unwillkürlich auf, die Haltung korrigiert sich von selbst. Sobald Sie den Nacken einknicken oder ins Hohlkreuz gehen, fällt der Gegenstand vom Kopf.

 Bestimmte Augenübungen können leicht eine Schwindelsymptomatik auslösen:

  1. Augenkreisen. Lassen Sie Ihre offenen Augen Kreisbewegungen ausführen und betrachten Sie dabei Ihre Umgebung ganz genau. Dann führen Sie das gleiche mit geschlossenen Augenlidern aus und entspannen sich wieder.

  2. Spirale. Machen Sie mit geschlossenen Augen die Bewegungen einer Spirale, die sich vom Mittelpunkt nach außen hin erweitert. Dann gehen Sie wieder den umgekehrten Weg von außen nach innen bis zum Mittelpunkt zurück. Beobachten Sie dabei Ihre Atmung. Die Atembewegung folgt der Augenbewegung, indem sie sich einmal erweitert, dann wieder sammelt.

  3. Die Atembewegung folgt den Augen. Schauen Sie mit geschlossenen Augen nacheinander eine Weile nach unten, nach oben, nach rechts und nach links, wobei Sie zwischendurch immer wieder zur Mitte zurückkehren. Beobachten Sie dabei, wo Ihre Atembewegung jeweils spürbar wird. Sie werden feststellen, dass Ihr Atem dahin geht, wohin Ihre Augen schauen: in den unteren, in den oberen Raum, in den Flankenbereich rechts und links.

  4. Fixieren eines Punktes. Wenn Sie längere Zeit einen bestimmten Punkt fixieren, beginnt dieser zu verschwimmen bzw. sich zu bewegen, weil Sie rundherum auf keinen Bezugspunkt achten.

  5. Fixieren konzentrischer Kreise, paralleler Linien oder auf einen Mittelpunkt zusammenlaufender Streifen. Die Vorlagen scheinen bald in Bewegung zu geraten.

  6. Bilder mit sich bewegenden Mustern betrachten. Schauen Sie bestimmte Bilder (z.B. des Malers Escher) bzw. Muster so lange an, bis sich diese scheinbar bewegen.

  7. Nachbilder erzeugen. Schauen Sie für 30 Sekunden in eine Lichtquelle und richten Sie anschließend Ihren Blick auf eine weiße Wand. Dies erzeugt ein Bild auf dem Augenhintergrund bzw. auf der Netzhaut.

  8. Betrachten dahinziehender Wolken. Wenn Sie im Stehen auf sich relativ rasch bewegende Wolken blicken, entsteht die Illusion, in die entgegengesetzte Richtung zu kippen, doch erst die vermeintliche Ausgleichsbewegung führt zum Sturz.

Drehen bzw. schnelles Bewegen des Kopfes kann rasch einen Schwindelzustand („Lagerungsschwindel“) und Benommenheit herbeiführen. Längeres Üben bewirkt eine Gewöhnung an den Schwindel, sodass er nicht mehr so belastend ist (diese Übungen sollten Sie nur machen, wenn Sie keine neurologischen Probleme haben):

  1. Drehen Sie den Kopf für 30 Sekunden hin und her.

  2. Legen Sie den Kopf für 30 Sekunden zwischen die Beine und bewegen Sie dann den Kopf ganz schnell wieder nach oben.

  3. Drehen Sie sich bei geschlossenen Augen längere Zeit stehend im Kreis, bis Sie schwindlig werden.

  4. Setzen Sie sich in einen Drehstuhl, drehen Sie sich eine Minute lang und halten Sie dann plötzlich an.

 Schwindel hängt mit der Angst zu fallen zusammen. Die Fallangst lässt sich nicht einfach nur durch körperliche Übungen wegtrainieren, weil es sich dabei oft um ein ganz zentrales Persönlichkeitsmerkmal handelt. Die Betroffenen können sich häufig nicht fallen lassen, weil ihnen das Vertrauen fehlt, dass sie aufgefangen werden, was oft durch die Lebensgeschichte verständlich ist.

Gibt es reale Auslöser für Ihre Fallangst? Haben Sie Ohnmacht bei sich oder anderen erlebt? Ist ein Verwandter oder Bekannter umgefallen und gestorben? Spiegelt sich in Ihrer Fallangst eine ganz reale Überforderung durch die Lebenssituation wider?

In der Fallangst äußert sich oft der beharrliche Wunsch, stets die Standfestigkeit und Kontrolle über sich selbst zu behalten, was gerade angesichts der Erfahrung, dass man – bildlich gesehen – nur ungenügend auf seinen eigenen Füßen stehen kann, ein besonderes Bedürfnis ist. In der Fallangst zeigt sich neben der Angst vor Kontrollverlust und hilflosem Ausgeliefertsein auch die mangelnde Bereitschaft, von anderen im Bedarfsfall Hilfe annehmen zu wollen.

Übungen des Fallens können als Übungen des Vertrauens gegenüber anderen, aber auch des Loslassens gegenüber sich selbst verstanden werden. Wenn Sie Angst haben, in der Öffentlichkeit umzufallen, trainieren Sie zu Hause, wie Sie fallen möchten, sollten Sie tatsächlich einmal umfallen.

Machen Sie ein Falltraining mit sich selbst, indem Sie 5 Minuten lang bei geschlossenen Augen stehen bleiben, in der ständigen Erwartung bzw. in der fixen Absicht, danach umzufallen. Stellen Sie die Füße eng nebeneinander, strecken Sie die Beine durch, schwanken Sie mit dem Oberkörper leicht hin und her und sagen Sie sich: „Ich falle gleich um, gleich falle ich um“, verstärken Sie das Schwanken des Körpers, beobachten Sie Ihre Atmung, Ihren Herzschlag, die Spannung der Muskulatur in Ihren Beinen, achten Sie auf die momentanen Empfindungen und lernen Sie, die dabei auftretenden Gefühle besser auszuhalten. Stellen Sie sich möglichst konkret vor, wie Sie fallen werden, wenn Sie umfallen.

Üben Sie danach, sich auf verschiedene Arten fallen zu lassen: rasch und plötzlich, langsam zusammensinkend, seitlich hinfallend auf der Suche nach einem Halt. Bleiben Sie dann einige Zeit liegen und lassen Sie alle Gedanken und Gefühle aufkommen bei der Vorstellung, andere Menschen würden miterleben, wie Sie umgefallen sind und nun daliegen. Wie geht es Ihnen da? Was sind Ihre stärksten Eindrücke? Warum wehren Sie sich so gegen den Fall? Was kann im schlimmsten Fall passieren, wenn Sie nicht bewusstlos werden und sich beim Fallen auch nicht verletzen? Üben Sie anschließend das Aufstehen, um die Erfahrung zu verstärken, dass Sie jederzeit wieder von allein auf Ihre Füße kommen.

Lowen, der Begründer der Bioenergetik, setzt Fallübungen therapeutisch ein, um die Hemmungen aufzudecken, die einen Menschen verkrampfen, ihm den Boden unter den Füßen wegziehen und dadurch eine Fallangst auslösen:

„Dann fordere ich den Patienten auf, sein ganzes Gewicht auf ein Bein zu verlagern und dessen Knie vollständig zu beugen. Der Fuß des anderen Beins darf den Boden leicht berühren, dient aber nur zur Balance. Die Anweisungen sind sehr einfach. Der Patient soll so lange in dieser Lage verharren, bis er hinfällt; er darf sich jedoch nicht mit Absicht fallen lassen. Wenn man sich bewußt löst oder lockert, fällt man nicht richtig, weil man den Sturz kontrolliert. Ein ‚wirksamer’ Fall muß ungesteuert und unwillkürlich sein. Wenn man seinen Geist darauf konzentriert, die eingenommene Position zu halten, stellt der Fall die Loslösung des Körpers von der bewußten Kontrolle dar. Da sich die meisten Menschen davor fürchten, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren, erzeugt schon dieser Vorgang Angst.“

Viele Menschen haben nach Lowen Angst, dass sie nicht mehr aufstehen könnten, wenn sie fallen würden. Hilflos am Boden liegen zu müssen, ist oft ein unerträglicher Gedanke. Lowen verweist in Anlehnung an Reich auf den Zusammenhang von Fallangst und falscher Atmung. Der Abfluss von Energie aus Füßen und Beinen, der durch die fehlende Zwerchfellatmung und die Blockade der unteren Körperhälfte bewirkt wird, führt nach Lowen zu einem Verlust des Bodenkontakts.

Sich buchstäblich fallen lassen zu können, stellt auch eine Vertrauensübung gegenüber anderen Menschen dar. Ersuchen Sie eine Person, sich einen Meter hinter Ihnen aufzustellen und lassen Sie sich steif durchgestreckt zurückfallen. Wie viel Vertrauen haben Sie wirklich, dass Sie der andere auffängt?

 

Menschen mit Angstschwindel und phobischem Attackenschwindel schonen sich häufig zu sehr, obwohl sie früher oft recht sportlich waren. Sie sollten den folgenden Text beherzigen, der auf die Bedeutung von Bewegung hinweist.

 

Körperliche Schonung bei Angst - Ein sicherer Weg zur Angstverstärkung

 

     Körperliche Schonung führt zu mangelnder Fitness. Alltägliche Belastungssituationen lösen dann übermäßige körperliche Reaktionen aus (Herzrasen, Atemnot, Schwitzen, Muskelkater usw.). Wenn Menschen mit ohnehin niedrigem Blutdruck in Belastungs- und Angstsituationen (z.B. bei einer Agoraphobie) einen weiteren Blutdruckabfall erleben und sich deshalb zur Schonung hinlegen, sind sie derartigen Kreislaufreaktionen zukünftig noch stärker ausgeliefert. Menschen mit Schwindelzuständen, die durch chronische Muskelverspannung bedingt sind, sollten sich ebenfalls viel mehr bewegen als sie dies gewöhnlich tun.

Wissenschafter der NASA, der amerikanischen Weltraumbehörde, haben nachgewiesen, dass bei Gesunden allein eine Bettruhe von 7 Tagen das Koordinationssystem des Gleichgewichts und damit die körperlichen Erholungsmöglichkeiten beeinträchtigt.

Vaitl und Hamm studierten den Effekt der so genannten kardiovaskulären Dekonditionierung, der in den bisherigen Erklärungskonzepten von Angststörungen noch zuwenig Beachtung gefunden hat. Die vielbeklagten Herz-Kreislauf-Beschwerden und Schwindelzustände von Angstpatienten könnten hierin ihre Ursache haben bzw. zumindest eine Verstärkung erfahren.

Dieser Effekt kann unter folgenden Umständen auftreten:

1.     nach Schwerelosigkeitsbedingungen im Weltraum,

2.     bei 6°-Kopf-Tieflage (Liegen mit dem Kopf 6° unter der Waagrechten),

3.     nach längerer Bettruhe.

 

    Alle genannten Bedingungen führen zu einer Verschiebung der Körperflüssigkeiten in den Brustbereich und infolgedessen zu einer Zunahme des zentralen Blutvolumens.

Das Kreislaufsystem des Menschen ist hauptsächlich dem aufrechten Gang und den Bedingungen der Schwerkraft der Erde angepasst, weshalb starke Verschiebungen der Körperflüssigkeiten heftige körperliche Gegenmaßnahmen hervorrufen, die das Ziel haben, das Flüssigkeitsvolumen des Körpers wieder zu reduzieren (z.B. verstärktes Harnlassen und andere Flüssigkeitsverluste bei Bettlegrigkeit).

Diese Effekte entstehen regelmäßig nach längerem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit im Weltraum. Sie lassen sich auf der Erde dadurch provozieren und simulieren, dass die Versuchspersonen über längere Zeit eine Körperposition einnehmen, bei der ihr Kopf 6° unter die Horizontale abgesenkt ist. Die Flüssigkeitsverteilung im Körper entspricht bei dieser Lagerung annähernd derjenigen, die unter Schwerelosigkeitsbedingungen vorherrscht.

Diese Simulationsmethode wird außerhalb der Raumfahrt dazu verwendet, um die nachteiligen Effekte verlängerter Bettruhe auf die Herz-Kreislauf-Funktion zu untersuchen. Der einzige Unterschied zwischen der Bettruhe in horizontaler Position und dem Liegen mit einer Kopfhaltung 6° unter der Horizontalen ist der, dass diese Effekte bei der abgesenkten Kopfposition rascher eintreten und damit der Untersuchungszeitraum verkürzt wird. Kreislaufstabile Versuchspersonen zeigten bereits nach einem Tag eine erhebliche kardiovaskuläre Dekonditionierung (bestimmt mit Hilfe des Orthostoasetests und der Fahrrad-Ergometrie), wenn sie sich in dieser Zeit in einer 6°-Kopf-nach-unten-Position befanden. Innerhalb eines Tages wurde der Kreislauf gesunder Probanden derart intolerant gegenüber dem „Stress“ der aufrechten Position, dass 4 von 10 Versuchspersonen während der Orthostoasetests einen Ohnmachtsanfall erlitten.

Durch die Untersuchung von Agoraphobikern im Vergleich zu anderen Personen konnte die Hypothese bestätigt werden, dass die bei Agoraphobikern zu beobachtende kardiovaskuläre Dekonditionierung darauf zurückzuführen ist, dass sich diese aufgrund übertriebenen Schonverhaltens zu lange in der horizontalen Position aufhalten.

Infolge des Schonverhaltens vermeiden Angstpatienten nicht nur körperliche Anstrengungen und Belastungen, sondern legen sich schon bei den geringsten Anzeichen von Unwohlsein oder bei noch unklaren Beschwerden hin und verbleiben möglichst lange Zeit in dieser Position. Bei längerem Stehen tritt dann vermehrt Herzrasen auf.

Beim Übergang vom Liegen in die aufrechte Position kommt es bei vielen Agoraphobiepatienten zu körperlichem Unwohlsein, das durch eine Orthostase-Labilität oder durch starke Blutdruckschwankungen bedingt sein kann. Die körperlichen Missempfindungen führen zu weiterer Schonung, indem sich die Betroffenen neuerlich in die Horizontale begeben und sich weiter schonen.

Die Befürchtung, an einer undefinierten Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems zu leiden, verstärkt die Symptomatik, sobald die Betroffenen erkennen, dass Maßnahmen wie Hinlegen und Schonen nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Diese Befunde bestätigen eine amerikanische Untersuchung, wonach bei Panikpatienten verstärkt Tachykardien unter Orthostase-Belastung auftraten.

Aus dem Umstand, dass bei Angstpatienten nach dem Aufstehen oft Anzeichen von Kreislaufschwäche auftreten (z.B. Herzrasen und Herzklopfen, Schwindelattacken, Muskelzittern, Übelkeit und Schweißausbrüche), ergibt sich die Schlussfolgerung, schrittweise die körperliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen zu steigern, um eine Konfrontationstherapie nicht durch mangelnde Kondition zum Scheitern zu bringen.

Viele Angstpatienten klagen nicht nur über Kreislaufprobleme, sondern auch über eine Schwäche in den Beinen, verbunden mit der Angst umzufallen. Die mangelnde Bewegung im Rahmen der ständigen Schonhaltung führt rasch zu einem Muskelschwund (Atrophie) der Beine. Schon der altgriechische Arzt Hippokrates formulierte ein Gesetz des Lebens: „Was gebraucht wird, wächst; was nicht gebraucht wird, geht zugrunde.“ Unbenutzte Beinmuskeln bilden sich bereits innerhalb einiger Wochen zurück, was Sportler ohne Training, Verunfallte nach einem sechswöchigen Gipsverband, ältere Menschen nach einer mehrmonatigen Liegephase und Astronauten ohne körperliches Trainingsprogramm im Weltraum bald zu spüren bekommen.

Ein geeignetes Konditionstraining stärkt die Muskulatur (insbesondere auch die Waden- und Oberschenkelmuskulatur), verbessert die Knochenfestigkeit (größere Knochendichte als Schutz vor Brüchen), vermehrt die Blutgefäße im Gehirn und fördert dadurch die geistige Fitness, senkt den Blutdruck und die Herzfrequenz, verbessert die Sauerstoffversorgung des Körpers und beseitigt das chronische Müdigkeitssyndrom vieler Angstpatienten. Ständige Müdigkeit wird nicht durch Schonung, Ausrasten und Energiesparen überwunden, sondern durch häufigeres Ermüden als Folge vermehrten Energieverbrauchs durch Sport und körperliche Betätigung.

Selbst in der Rehabilitation von Patienten nach einem Herzinfarkt gehört körperliche Aktivität so früh als möglich zum Standardtherapieprogramm. Die Erkenntnisse der Sportmedizin werden zunehmend auf die Behandlung von Herzinfarktpatienten übertragen. Strenge Bettruhe, wie sie früher verordnet wurde, schwächt den Patienten zusätzlich, besonders, wenn er älter ist. Das Konditionstraining nach einem Herzinfarkt sollte mit etwa 60-70% der maximalen Leistungsfähigkeit erfolgen.

Das beste Trainingsprogramm für die Gesamtfitness besteht aus einer Kombination von Ausdauersportarten und muskelkräftigenden Elementen. Nach dem Kriterium des Sauerstoffverbrauchs können vier Trainingsmethoden unterschieden werden:

1.  Isometrisches Muskeltraining (isometrisch = in gleicher Länge bleibend). Übungen, die für mehrere Sekunden eine Muskelanspannung bewirken, aber keine Bewegung verlangen und daher wenig oder keinen Sauerstoff verbrauchen. Meistens handelt es sich darum, zwei Gliedmaßen kräftig gegeneinander oder gegen ein Objekt zu drücken. Diese Muskelspannung bewirkt einen Druck auf die Blutgefäße, die sich dadurch entleeren. Das Blut wird in den Venen zum Herz befördert. Die isometrische Spannung aktiviert den Kreislauf und sichert die Sauerstoffversorgung. Menschen mit niedrigem Blutdruck lernen auf diese Weise, ihren Blutdruck zu steigern.

Beispiele: kräftiges Gegeneinanderdrücken der Hände, Spreizen der Arme zwischen zwei Türpfosten, jede Druckverstärkung gegen einen Widerstand, Expanderübungen, progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Übungen zur Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur.

Ein derartiges Krafttraining führt zum Muskelwachstum. Der stärkste Reiz für die Zunahme der Muskelkraft liegt nicht in häufigen Belastungen, sondern in kurzen, nur wenige Sekunden anhaltenden, maximalen isometrischen Kontraktionen. Durch Überschreiten der Reizhäufigkeit ist keine stärkere Muskelkräftigung zu erzielen. Je dicker der Muskel ist, um so kräftiger ist er. Bei hohem Krafteinsatz unter anaeroben (sauerstoffarmen) Bedingungen wird der Muskel in einen Spannungszustand versetzt, der das Dickenwachstum bewirken soll. Die hohe Sauerstoffschuld bringt eine hohe Übersäuerung durch Kohlendioxid, Milchsäure und saure Stoffwechselschlacken mit sich. Sie führt rasch zur Ermüdung. Es ist daher wichtig, dass nach hohem Krafteinsatz eine Erholungspause von 3-5 Minuten folgt. Es sollen jeweils kurz unterschiedliche Muskelgruppen trainiert werden (Prinzip des Circuit-Training/Zirkeltraining; circuitus = Rundgang).

2.  Isotonisches Training: (isoton = gleichbleibender Druck). Beispiel: Gymnastik.

3.  Anaerobe Trainingsübungen (anaerob = ohne Sauerstoff lebend). Kurzfristige Maximalleistungen. Beispiel: Sprint, rasches Stiegensteigen.

4.  Aerobes Training (aerob = mit Sauerstoff lebend): Sportarten, die genügend Sauerstoff erfordern, lange genug anhalten und somit zu einem Trainingseffekt führen. Sämtliche Ausdauersportarten: Wandern, Laufen, Geländelauf, Schwimmen, Radfahren, Schilanglauf, Rudern, längeres Stiegensteigen. usw. Laufen ist die billigste und beste Sportart. Der Sauerstoffbedarf des Körpers ist bereits bei langsamem Laufen relativ hoch. Dadurch werden die sauerstoffaufnehmenden, -transportierenden und -verwertenden Systeme des Körpers intensiv angeregt und entwickelt. Infolge des Einsatzes großer Muskelgruppen ist auch der Energieaufwand beim Laufen höher als bei anderen Sportarten. Beim Laufen gilt als Faustregel: man muss sich so belasten, dass das Herz mindestens um 50% schneller schlägt. Diese Belastung muss man längere Zeit durchhalten. Für ein effizientes Herz-Kreislauf-Training ist die Steigerung der Pulsfrequenz um mindestens 50% erforderlich. Man sollte immer nur so schnell laufen, dass man nicht in Atemnot gerät. Beim langsamen Laufen zu Trainingsbeginn wird den Muskeln nie mehr Energie abverlangt als der Kreislauf noch liefern kann. Sauerstoffaufnahme und -verbrauch halten sich die Waage. Aerobes Laufen verhindert einen Muskelkater.

Der Effekt der Leistungssteigerung durch Sport lässt sich durch eine Laktatuntersuchung messen. Aus dem Ohrläppchen werden ein paar Tropfen Kapillarblut gewonnen, und der Laktatspiegel (Milchsäure) wird im Labor bestimmt. Dieser Wert gibt verlässlich Auskunft über die Leistungsfähigkeit.

Sport verbessert die oft depressive Stimmung vieler Angstpatienten, weil dabei die Ausschüttung von Endorphinen, d.h. körpereigenen Opiaten, bewirkt wird (was bislang trotz häufiger Behauptungen allerdings nicht ausreichend klar erwiesen ist), steigert den oft niedrigen Blutdruck und verbessert die Gehirndurchblutung.

Bei Ängsten und Depressionen werden durch Sport Muskelspannungen abgebaut und intensivere Atemzüge bewirkt. Von Menschen mit belastenden Erlebnissen litten jene weniger häufig unter verschiedenen Krankheiten, die regelmäßig Sport betrieben.

Ein Forscherteam aus Göttingen hat in den letzten Jahren den Stellenwert von Sport in der Behandlung psychischer Erkrankungen untersucht und den aktuellen Forschungsstand zusammenfassend dargestellt. Im folgenden werden diese bedeutsamen Erkenntnisse ausführlich referiert.

Zahlreiche Studien an Gesunden haben den positiven Einfluss eines Ausdauertrainings auf Faktoren wie Ängstlichkeit, Depressivität, Selbstbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit und Stressbewältigung nachgewiesen. Sport senkt die Eigenschaftsangst (trait anxiety) und beeinflusst in positiver Weise physiologische Faktoren, die als Ausdruck von Angst und Spannung angesehen werden. Aerobes Training hat auch günstige Auswirkungen auf die Schlafqualität (erhöhter Tiefschlafanteil, größere REM-Latenz).

Bei Sportlern mit einer Trainingspause weist das „akute Entlastungssyndrom“, d.h. eine „Sport-Entzugssymptomatik“, auf die Bedeutung neurobiologischer Adaptationsprozesse hin. Eine akute Sportpause führt nach 1-2 Wochen bei durchtrainierten Sportlern zu Symptomen wie Herzstichen, Schwindel, Verdauungsstörungen, Unruhezuständen, Schlafstörungen und depressiver Verstimmung. Bei Wiederaufnahme der sportlichen Betätigung verschwinden alle Symptome innerhalb kurzer Zeit. Die neurobiologischen Ursachen dieses Phänomens sind derzeit noch unbekannt, man schreibt jedoch dem serotonergen Neuronensystem eine bedeutsame Rolle zu.

Die erste größere praktische und wissenschaftliche Bedeutung im psychiatrischen Kontext erlangte die Sporttherapie Ende der 70er Jahre in den USA, wo depressive Patienten mit Erfolg an einem Ausdauertrainingsprogramm teilnahmen.

Verschiedene Studien an psychisch Kranken belegen mittlerweile eindeutig, dass Sport bei Depressionen und Angststörungen heilsam wirkt (zu anderen psychischen Störungen liegen noch zuwenig Studien vor). Die Göttinger Arbeitsgruppe legte 1997 die erste vollrandomisierte, placebokontrollierte Studie zur therapeutischen Wirksamkeit von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstörung und/oder Agoraphobie vor. Im Rahmen der 10 Wochen dauernden Studie wurden die Therapieeffekte bei 49 Panikpatienten untersucht, die drei verschiedenen Behandlungsbedingungen zugeordnet wurden: Ausdauertraining (3-4 mal 30-60 Minuten Laufen pro Woche), Clomipramin (112,5 mg pro Tag) und Placebo. Clomipramin und Ausdauertraining führten im Vergleich zur Placebogruppe zu einer deutlichen Besserung der Angstsymptomatik, gleichzeitig sank auch das Ausmaß der Depressivität. Die gemessene Steigerung der körperlichen Fitness bestätigt die Wirksamkeit des Ausdauertrainingsprogramms. Diese Studie weist darauf hin, dass bei Panikpatienten bereits ein Ausdauertraining ohne spezifische Begleittherapie zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik führt. 

Das Ausdauertraining beeinflusst das autonome Nervensystem und zentrale Neurotransmittersysteme. Das Göttinger Forscherteam befasst sich mit verschiedenen möglichen Wirkmechanismen. Vor allem wird die Frage geprüft, ob ein Ausdauertraining die Reaktionsbereitschaft zentraler serotonerger Neurone verändert und dies wiederum das psychische Befinden von Gesunden und Angstpatienten beeinflusst.

Nach der Endorphinhypothese führt ein Ausdauertraining akut zu einem Anstieg von Beta-Endorphinen im Plasma, Trainingswiederholungen bewirken eine potenzierte Ausschüttung von Beta-Endorphinen. Die häufige Annahme, dass der Anstieg an Endorphinen zu einer Stimmungsverbesserung führt, ließ sich bislang durch Korrelationsstudien nicht empirisch bestätigen. Psychische Zustandsverbesserungen scheinen daher beim gegenwärtigen Wissensstand nicht durch die Ausschüttung von Endorphinen aus der Adenohypophyse erklärbar zu sein, vor allem auch deshalb nicht, weil das Protein Beta-Endorphin die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten kann.

Nach der Serotoninhypothese führt eine intensive motorische Aktivität zu einem erhöhten Umsatz von Serotonin. Möglicherweise kommt es dadurch nach einiger Zeit zu einer adaptiven Rezeptor-Downregulation in einer Weise, wie dies dem postulierten Wirkmechanismus von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern entspricht.

Ausdauertraining aktiviert auch das Noradrenalin- und Dopaminsystem. Bei Depressiven wurde nach einem körperlichen Training eine erhöhte Zahl von Noradrenalin- und Serotoninmetaboliten im Liquor cerebrospinalis gefunden.

Nach zahlreichen Untersuchungen weisen Angstpatienten eine reduzierte Belastbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmung auf:

  • Eine verminderte Leistung bei der Fahrrad-Ergometrie stand mit der Häufigkeit von Panikattacken in Zusammenhang.

  • Herzneurotiker zeigten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine mangelnde ergometrische Belastbarkeit auf und lagen mit ihren Werten nur knapp oberhalb der Leistung von Patienten mit organischen Herzerkrankungen. Der Beta-Blocker Metoprolol (Beloc®, Lopresor®) bewirkte eine höhere Belastungsfähigkeit.

  • Angstpatienten zeigten im Vergleich zu Gesunden eine höhere Herzfrequenz im Stehen und bei submaximaler Belastung.

  • Bei Patienten mit Panikstörung bzw. Depression war die maximale Sauerstoffaufnahme im Vergleich zu einer Kontrollgruppe deutlich erniedrigt, obwohl die Lungenfunktion unbeeinträchtigt war.

Die verminderte kardiopulmonale Leistungsfähigkeit stellt nach Auffassung des Göttinger Forscherteams eine pathogenetisch wirkende Komponente innerhalb eines multifaktoriellen Modells zur Genese der Panikstörung dar. Stress in Verbindung mit Bewegungsmangel und einer entsprechenden biologischen Disposition führt zu einem erhöhten Sympathikotonus und infolgedessen zu einer vegetativen Übererregbarkeit.

Die Wahrnehmung von Kreislaufsymptomen (diffuser Schwindel, Ohnmachtsgefühl, Herzrasen) und deren Bewertung als gefährlich führt zu Herzangst, Hyperventilation und Panikattacken. In weiterer Folge kommt es zu ausgeprägtem Vermeidungsverhalten, psychosozialem Rückzug und vollständigem Verzicht auf sportliche Betätigung, auch wenn diese früher oft einen wichtigen Teil des Lebens darstellte. Der Mangel an Bewegung und körperlicher Fitness verstärkt den Teufelskreis der Angst.

Bei Ausdauertrainierten wurden im Vergleich zu anderen Personen folgende positive Effekte hinsichtlich der körperlichen Fitness festgestellt:

  • Nach einem physischen und psychischen Stresstest ergaben sich kürzere Erholungszeiten bezüglich der Herzfrequenz und der elektrodermalen Reaktion.

  • Nach Stresstests bestand eine geringere kardiovaskuläre Reaktion, während Untrainierte bei körperlicher Belastung einen stärkeren Anstieg der Herzfrequenz, d.h. eine Neigung zu Tachykardie, aufwiesen und auch in Ruhe eine höhere Herzfrequenz zeigten.

  • Nach einer sportlichen oder psychischen Belastung war ein geringerer Anstieg des Kortisolspiegels nachweisbar.

  • Die Ausschüttung von Adrenalin war vermindert.

  • Sportler weisen anders als unsportliche Personen bei Belastung keine wesentliche Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz auf, vielmehr arbeitet das Herz durch den Auswurf einer größeren Blutmenge effektiver, und die Lunge erreicht eine bessere Sauerstoffausbeutung der Einatemluft.

  • Bei Trainierten ist ein geringerer Laktatanstieg feststellbar als bei Untrainierten.

Ein Teil der Angstpatienten weist eine erhöhte Laktatsensitivität auf, wie bei experimentellen Panikstudien festgestellt wurde. Bei Laktatinfusionen wird oft geklagt über Parästhesien (Körpermissempfindungen), Zittern, Schwindel, starkes Herzklopfen, Kälte, Nervosität und Atemnot. Dieser Umstand könnte auch für das Vermeidungsverhalten verschiedener Panikpatienten gegenüber sportlicher Betätigung bedeutsam sein.

Ein Ausdauertraining reduziert bei Angstpatienten die vegetative Erregbarkeit, führt zu einer gesunden Abhärtung des Körpers, stellt eine aktive Bewältigungsstrategie angesichts von unvermeidlichen Härten des Lebens dar und verbessert das allgemeine körperliche Befinden und Selbstbewusstsein.

Körperliche Betätigung führt zu einer sofortigen Unterbrechung des ängstlichen und/oder depressiven Grübelns, weil durch die Konzentration auf die Umwelt, in der die Ausdauersportart ausgeführt wird, eine sofortige Aufmerksamkeitsumlenkung erfolgt, z.B. Konzentration auf die Natur beim Laufen oder Radfahren, Kontakt mit anderen Menschen im Schwimmbad oder während des Schiurlaubs.

Ein Ausdauertraining stellt für viele Agoraphobiepatienten mit und ohne Panikstörung bereits eine Art Konfrontationstherapie dar, so dass sportliche Betätigung in ein verhaltenstherapeutisch orientiertes Angstbehandlungsprogramm leicht und gut integrierbar ist. Gleichzeitig führt vermehrte körperliche Aktivität zu der oft gewünschten körperlichen Entspannung, ohne dass zu diesem Zweck Medikamente (vor allem zum Schlafen) eingenommen werden müssen, wie dies ansonsten häufig der Fall ist.

Die alleinige Anwendung eines Ausdauertrainings ohne weitere Behandlungskomponenten kann nach neuesten Befunden bei bestimmten Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie bereits eine ausreichende Besserung bewirken.

Die Erfahrungen des Göttinger Forscherteams zeigen jedoch auch, dass Angstpatienten eine entsprechende Information, Motivation und Handlungsanleitung benötigen, um in dieser Weise aktiv zu werden. Die gutgemeinten Ratschläge, sich etwas mehr zu bewegen und in die frische Luft zu gehen, weil dies gesund sei, bleiben in der Regel so lange wirkungslos, als sie nicht in ein konkretes Erklärungsmodell zur Wirksamkeit bei Angststörungen eingebettet werden.

 

 

                                                                   

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